
Problemfelder — Was belastet betroffene Familien?
Im Rahmen unserer Arbeit mit betroffenen Familien im NGK4Family-Projekt begegnen uns immer wieder bestimmte Herausforderungen, die viele Familien gleichermaßen betreffen. Diese Themen nennen wir Problemfelder.
Sie spiegeln reale Schwierigkeiten im Alltag mit schwer und schwerstbetroffenen Kindern und Jugendlichen wider, sowohl im medizinischen, sozialen oder strukturellen Bereich. Auf dieser Seite möchten wir diese Problemfelder benennen, einordnen und Betroffenen sowie Fachpersonen und Politik transparent machen, wo Handlungsbedarf besteht.
Für jedes dieser Felder planen wir nach und nach eigene anonyme Umfragen, um ein breiteres Meinungsbild zu gewinnen und unsere Erkenntnisse mit der wissenschaftlichen und medizinischen Community zu teilen. Familien sind herzlich eingeladen, sich zu beteiligen. Die Umfragen werden auf dieser Seite abrufbar sein.
Mehrfachbetroffenheit in Familien
Wenn ein Schicksal nicht allein bleibt
In vielen Familien, die wir begleiten, ist nicht nur ein Kind betroffen. Mehrfachdiagnosen in Geschwisterkonstellationen oder die gleichzeitige Erkrankung eines Elternteils oder weiteren Verwandten sind keine Ausnahme, sondern ein wachsendes Phänomen. Dies führt zu extremen Belastungen, da sich Unterstützungs- und Pflegebedarfe potenzieren und familiäre Ressourcen aufgebraucht werden.
Besorgniserregend ist jedoch, dass gerade bei familiärer Häufung dieser komplexen Krankheitsbilder zunehmend Zweifel und Misstrauen gegenüber den Familien entstehen – sei es im schulischen, medizinischen oder behördlichen Umfeld.
Dabei gilt: Bei anderen familiär gehäuften Erkrankungen wie z. B. Krebs oder Diabetes stellt kaum jemand die Betroffenen infrage – hier akzeptieren wir, dass genetische oder umweltbedingte Faktoren eine Rolle spielen können. Warum also nicht auch bei ME/CFS oder Post-COVID? Der Unterschied in der Wahrnehmung ist oft Ausdruck von mangelndem Wissen oder Vorurteilen gegenüber diesen noch wenig verstandenen Krankheitsbildern.
Wir möchten deshalb dafür sensibilisieren, dass Mehrfachbetroffenheit keine Unwahrscheinlichkeit, sondern Realität ist – und die betroffenen Familien in besonderem Maße Vertrauen, Unterstützung und Verständnis benötigen.
Ernährung und Mangelversorgung
Wenn Essen und Trinken zur Herausforderung wird
Bei schwer und schwerstbetroffenen Kindern und Jugendlichen mit ME/CFS beobachten wir Situationen, in denen eine eigenständige Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme kaum noch möglich ist. In solchen Fällen wird häufig eine enterale (z. B. über Magensonde) oder sogar parenterale Ernährung notwendig.
Für die betroffenen Familien bedeutet dies einen plötzlichen, existenziellen Versorgungsbruch, der eine schnelle medizinische Reaktion und ein hohes Maß an Verständnis für die komplexe Erkrankung erfordert. Doch genau hier zeigen sich große Lücken im Versorgungssystem: Die Symptome werden häufig nicht ernst genommen, Berichte von Familien angezweifelt, notwendige Hilfsmittel oder Maßnahmen werden verzögert oder gar nicht bewilligt.
Schon lange vor der Notwendigkeit medizinisch unterstützter Ernährung zeigen sich bei vielen Betroffenen Symptome, die den Alltag stark beeinträchtigen: Erschöpfung beim Essen oder Unverträglichkeiten bei bestimmten Lebensmitteln. Diese frühen Anzeichen werden oft übersehen oder bagatellisiert (“Weglassen” oder “Aushalten”). Dies birgt das Risiko, dass sich der Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Auch diese leisen Entwicklungen führen zu Belastungen in den Familien und müssen als Teil der Versorgungssituation ernst genommen werden.
Die Ursachen dieser Problematik sind bislang nicht ausreichend erforscht. Uns zeigt sich ein klarer wissenschaftlicher Bedarf, diesen Bereich näher zu untersuchen, um sichere und bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen zu entwickeln.
Zyklus und Belastung
Wenn die Periode zum Krisenfaktor wird
Die hormonellen Veränderungen im Monatszyklus können bei betroffenen Mädchen mit ME/CFS oder Post COVID/ Post VAC zu massiven Verschlechterungen führen. Berichtet werden u.a. eine Zunahme von Fatigue, Schmerzen, Kreislaufproblemen oder sogar vollständige Bettlägerigkeit während der Menstruation. Trotzdem fehlen gynäkologische Ansprechpersonen mit spezifischem Wissen über die Erkrankung, was zu Unsicherheit und unzureichender Versorgung führt. Das Thema ist tabuisiert, aber für viele Familien ein zentrales Belastungsfeld. Wir möchten es sichtbar machen.

Kindeswohl und Fehleinschätzungen
Wenn Unwissen zu ungerechtfertigten Eingriffen führt
Viele Familien berichten davon, dass ihre Situation von Außenstehenden – etwa in Schulen, medizinischen Einrichtungen oder Jugendämtern – fehlinterpretiert wird. Die Realität schwerer chronischer Erkrankungen wie ME/CFS, Post VAC oder Post COVID ist geprägt von langanhaltenden Krankheitssymptomen, einem oft monatelangen oder jahrelangen (unfreiwilligen) Fernbleiben aus Schule und Sozialleben, medizinischen Unsicherheiten und einem hohen Unterstützungsbedarf im Alltag.
Weil es an Wissen über diese Krankheitsbilder mangelt, entstehen immer wieder Situationen, in denen Eltern mit Zweifeln an ihrer Fürsorgefähigkeit konfrontiert werden. In manchen Fällen wurden sogar Kindeswohlgefährdungsanzeigen gestellt – obwohl eine klare medizinische Diagnose vorlag. Diese Verfahren bedeuten für betroffene Familien eine zusätzliche extreme psychische Belastung. Insbesondere wenn die Erkrankung nicht verstanden wird, kommt es zu falschen Verdächtigungen, die teilweise über Monate hinweg die familiäre Sicherheit erschüttern.
Unser Ziel ist es, Verständnis für die Lebensrealität dieser Familien zu schaffen – und aufzuzeigen, wie wichtig medizinisches Fachwissen, interdisziplinäre Zusammenarbeit und respektvolle Kommunikation sind, um Kinder zu schützen, ohne erkrankte Familien zusätzlich zu belasten.
Sie sind in der medizinischen Versorgung oder Forschung tätig und beschäftigen sich mit ME/CFS?
Gerne teilen wir unsere Erfahrungen und erste Auswertungen aus den Befragungen im Projekt NGK4Family. Bei Interesse schreiben Sie uns bitte an: ngk4family@nichtgenesenkids.de Bitte geben Sie im Betreff das Stichwort „Problemfeld“ an. Eine Ansprechpartner:in aus dem Projektteam steht Ihnen für Rückfragen und Austausch gerne zur Verfügung.
